Der allj?hrliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beitr?ge des Cassis-Blogs lesen m?chten, werden Sie hier fündig.
?Hallo, haben Sie einen Termin?“, begrü?t mich die Frau im Friseurgesch?ft. Sie ist jung, mittelgro?, aufw?ndig geschminkt, hat mittellanges Haar und ich habe ein Problem. Also, nicht weil sie jung, mittelgro? und aufw?ndig geschminkt ist und mittellanges Haar hat, sondern weil ich nicht wei?, ob sie meine Stammfriseurin ist.
H?rt sich komisch an und ist es auch. Meine Stammfriseurin ist n?mlich gar nicht meine Stammfriseurin, sondern die meiner Frau. Vor ungef?hr sieben Monaten, kurz vor Weihnachten, habe ich mir von Ay?e – so hie?e die Stammfriseurin meiner Frau, wenn ich mir den Namen nicht ausgedacht h?tte – die Haare schneiden lassen. Weil ich sehr zufrieden war, habe ich seitdem immer Termine bei ihr gebucht. Allerdings war sie nie da und stattdessen hat sich dann eine ihrer Kolleginnen um meine Haare gekümmert.
Weil ich im Urlaub in Cassis nicht rumlaufen m?chte, als trüge ich eine Mütze aus r?udigem Yak-Fell, habe ich gestern übers Internet einen Termin bei Ay?e ausgemacht. Nun stehe ich hier und wei? ich nicht, ob die Frau, die mich gerade so freundlich begrü?t hat, meine Stammfriseurin beziehungsweise meine M?chtegern-Stammfriseurin ist.
Das ist natürlich peinlich und wirft kein gutes Licht auf mich. Aber ich war ja auch nur einmal bei Ay?e und das ist, wie gesagt, schon sieben Monate her. Au?erdem sehen sich die Friseurinnen hier alle recht ?hnlich – jung, mittelgro?, aufw?ndig geschminkt, mittellanges Haar. Da kann es schon mal passieren, dass du nicht wei?t, wer dir gerade gegenübersteht. Zumindest, wenn du ein Trottel bist.

Vielleicht finde ich irgendwie heraus, ob es sich um meine Nicht-Stammfriseurin handelt. Ich k?nnte ?Hallo Ay?e!“ zurückgrü?en. W?re ziemlich unangenehm, falls sie es nicht sein. Oder ich frage: ?Ist Ay?e gar nicht da?“ Sollte sie es aber selbst sein, w?re das ebenfalls doof. Ich sage lieber gar nichts, damit mir kein Fauxpas passiert. Schlie?lich m?chte ich nicht als oberfl?chlicher Chauvi gelten, der die Kolleginnen nicht auseinanderhalten kann, weil sie für ihn alle wie junge, mittelgro?e, aufw?ndig geschminkte Frauen mit mittellangem Haar aussehen.
Bevor ich an der Reihe bin, bekommt eine hochschwangere Frau die Wimpern gef?rbt. Was es nicht alles gibt. Kostet 40 Euro. Fast doppelt so viel wie mein Haarschnitt. Obwohl ich viel mehr Haar als sie Wimpern hat. (Zumindest noch.)
Die Frau ist trotzdem zufrieden. Das sei die beste Entspannungskur der letzten neun Monate gewesen, sagt sie beim Bezahlen. Wahrscheinlich auch für die n?chsten anderthalb bis drei Jahre, denke ich, behalte das aber für mich. Das w?re irgendwie übergriffig und ich will auch nicht ihr bevorstehendes Mutterglück trüben.
Nun bin ich an der Reihe. Zuerst bekomme ich die Haare gewaschen. Mit einem Shampoo das dezent nach Pfirsich duftet. Mag ich eigentlich nicht. Shampoo, das nach Obst riecht. Au?er damals in der Oberstufe bei B?rbel. Die hat immer ein Shampoo mit Vanille-Aroma benutzt. Fand ich toll. Weil ich B?rbel toll fand. Au?erdem ist Vanille kein Obst, sondern ein Gewürz. Und B?rbel sah so unfassbar gut aus, die h?tte sich von mir aus ihre Haare auch mit Gülle-Shampoo waschen k?nnen.
Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass die Friseurin, die inzwischen zum Schneiden meiner Haare übergegangen ist, nicht meine Nicht-Stammfriseurin ist. Ay?e ist zwar ebenfalls jung, aber nicht mittelgro?, sondern eher mittelklein, ihre Haare sind nicht mittellang, sondern mittelkurz und ihr Make-up ist auch mehr so mittelaufw?ndig. Sofern ich mich richtig erinnere.
Trotzdem bin ich mit der Schneideleistung der Nicht-Nicht-Stammfriseurin sehr zufrieden. Mich irritieren lediglich die vielen grauen Haare, die unter meinem Stuhl liegen. Müssen von einem früheren Kunden sein. Ay?e h?tte die vorher weggefegt.
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Ich stehe in der Buchhandlung in der Reiseabteilung und bin überfordert. Meine Frau hatte mich gestern gebeten, einen Reiseführer für die Provence zu besorgen. Inzwischen sind wir in einem Alter, in dem wir das haptische Erlebnis eines ausgedruckten Reiseführers zu sch?tzen wissen. Wir wollen nicht vor einer verfallenen Ruine hektisch googeln müssen, um was für ein Geb?ude es sich handeln k?nnte. Stattdessen m?chten wir in einem Buch nachschauen, für das der Autor hektisch ergoogelt hat, um welches Geb?ude es sich handeln k?nnte.
Wer h?tte gedacht, dass es so viele Provence-Reiseführern gibt? (Ich nicht, wie sie an der Frage merken.) Bei der gro?en Auswahl wei? ich nicht, für was ich mich entscheiden soll. Für einen Lonely-Planet-Reiseführer fühle ich mich zu alt und zu uncool, für einen Baedeker nicht intellektuell und klug genug. Ich entscheide mich für einen Marco-Polo-Reiseführer. Dessen Mainstreamigkeit scheint mir gut zu meiner eigenen Mittelm??igkeit zu passen. Au?erdem verbinde ich damit nostalgische Kindheitserinnerungen. Meine Eltern hatten für unseren letzten gemeinsamen Urlaub – eine Reise nach Marokko – auch einen Marco-Polo-Reiseführer gekauft. (Womit ich unter keinen Umst?nden andeuten m?chte, meine Eltern seien uncool, unintellektuell oder mittelm??ig.)
Damals fand ich die Insider-Tipps in dem Marco-Polo-Reiseführer besonders toll. Das klang für mich, als bek?men ausschlie?lich wir ganz exklusive Informationen über au?ergew?hnliche Sehenswürdigkeiten, besondere Aussichtspunkte oder exzellente Restaurants. Als Erwachsener frage ich mich dagegen, wie insidig ein Insider-Tipp noch ist, nachdem er in einem Buch mit hunderttausendfacher Auflage abgedruckt wurde.
Ich kaufe den Reiseführer trotzdem. Zuhause stelle ich fest, dass der Abschnitt über Cassis ganze vier S?tze umfasst. Und die sind nicht einmal ein Insider-Tipp.
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Alle Beitr?ge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen k?nnen gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Fü?e tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch l?uft, muss noch h?her laufen. Und dann noch h?her.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der N?he. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein K?nigreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas fran?ais. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!

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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für K?sekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigerma?en stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fl?schchen”. ?Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! ?berlebenstipps für werdende V?ter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit”?sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*.?(*Affiliate-Links)
Hallo Christian, gro?en Dank für die ehrlichen Worte;)
Noel